Veranstaltungen und Ausstellungen 40 Jahre nach 1968 - Köln 2008 Von vielen Kräften verteufelt, ist heute kaum bekannt, was 1968 alles auf den Weg gebracht wurde in Staat und Gesellschaft, in den Universitäten, den Kirchen, in Bildung und Erziehung, Wissenschaft, Kunst und Kultur, Justiz, Medizin, Presse und Film, in der Musik, Literatur und so weiter ... Vergessen sind die Notstandsgesetze, Remilitarisierung, Spitzeleien, Telefonüberwachung, Berufsverbote und Übergriffe der Polizei, Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst. Oder ist es nicht heute wieder aktuell? (Wolfgang Bittner) |
01 13. Februar ’68-2008: Was war – Was ist – Was bleibt Veranstalter: Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller & VHS Mittwoch, 13. Februar, 19.00 Uhr, VHS-Studienhaus am Neumarkt, Josef-Haubrich-Hof 2 Podiumsgespräch mit Wolfgang Hippe (Journalist) Kurt Holl (Rom e.V.) Anne Lütkes (Rechtsanwältin, Justizministerin a.D.) Klaus Schmidt (Theologe, Historiker) Moderation: Gabi Gillen (Journalistin) Auftakt: Ein szenisch-musikalischer Generationen-Dialog (siehe Reportage) |
02 21. Februar „Im Dickicht der Begriffe“ Veranstalter: „Lobby für Mädchen“ Im Rahmen des 20jährigen Bestehens der „Lobby für Mädchen“ Donnerstag, 21. Februar, 19 Uhr Haus der Evangelischen Kirche, Kartäusergasse 9-11 Vortrag von Dr. Inge von Bönninghausen „Im Dickicht der Begriffe - Emanzipation, Gleichberechtigung, Chancengleichheit, Gender Mainstreaming“ |
03 7. März Ulrike Meinhof und die APO Veranstalter: Neue Rheinische Zeitung – www.nrhz.de Freitag, 7. März, 19.00 Uhr Friedensbildungswerk, Am Rinkenpfuhl 31 verlegt nach: Humanwissenschaftliche Fakultät (HumF) der Uni Köln (ehemalige PH), Gronewaldstr. 2, Hauptgebäude der HumF, Hörsaal 2 Lesung von Jutta Ditfurth aus ihrem Buch 'Ulrike Meinhof – Die Biografie' und Diskussion (siehe Reportage) |
04 8. März Weiberfeier zum Frauentag Samstag, 8. März, 20 Uhr BÜZE - Bürgerzentrum Ehrenfeld Köln-Ehrenfeld, Venloer Straße 429 Kabarett und Musik mit Monika Blankenberg und anderen Kabarettistinnen und Musikerinnen Eintritt 6 / 4 Euro |
05 28. März Sind wir stärker geworden? Veranstalter: Neue Rheinische Zeitung – www.nrhz.de Freitag, 28. März, 20.00 Uhr DGB-Haus, Großer Saal, Hans-Böckler-Platz Filmabend über ’68 in Köln mit Filmen von Dietrich Schubert und anschließender Diskussion „Demonstrantenselbstschutz“, 5 Minuten „Wir sind stärker geworden“, 40 Minuten „Ein Film über den dichter werdenden Nebel im deutschen Winterwald“, 17 Minuten |
06 29. März Enteignet Springer! Liebt DuMont und den WDR! Veranstalter: Neue Rheinische Zeitung – www.nrhz.de Samstag, 29. März, 20.00 Uhr DGB-Haus, Großer Saal, Hans-Böckler-Platz Podiumsdiskussion des VS mit Ekkes Frank, Franz Kersjes, Werner Rügemer, Hartmut Schergel Moderation: Hans-Detlev von Kirchbach Lieder und Musik: Klaus der Geiger Kabarett: Monika Blankenberg |
07 29. März bis 25. April 2008 ZintStoff - '68 und die Folgen Veranstalter: Galerie Arbeiterfotografie 29.3. bis 25.4.2008 im Rahmen von SUMO - ART COLOGNE Ausstellung mit Fotos von Günter Zint (Hamburg, Panfoto-Archiv) über Proteste, Ziele, Lebensgefühle Galerie Arbeiterfotografie, Köln-Nippes, Merheimer Str. 107, Tel.: 0221 - 727 999 Öffnungszeiten: Mi/Do 17 - 20 Uhr, Sa 11 - 14 Uhr u.n.V. Donnerstag, 17. April SUMO-Tag 17 - 21 Uhr Ab 17 Uhr: ZINT kommt - Günter Zint stellt das Buch 'ZintStoff - 50 Jahre deutsche Geschichte' vor Ab 19.30 Uhr: Kurt Holl und die Buchvorstellung der Neuauflage „1968 am Rhein“ (Emons Verlag 2008) Freitag, 25. April Finissage mit Klaus dem Geiger - 19.30 Uhr: Lesung von Wolfgang Bittner aus dem Entwicklungsroman „Der Aufsteiger oder Ein Versuch zu leben“ (Horlemann Verlag 2008) |
08 9. April ’68-2008: Literatur Veranstalter: Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller und Stadtbibliothek Köln Mittwoch, 9. April, 19.00 Uhr Zentralbibliothek Josef-Haubrich-Hof Es lesen: Wolfgang Bittner, Dieter Höss, Erasmus Schöfer, Eva Weissweiler Moderation: Margit Hähner Liedvortrag: Nikolaus Gatter |
09 16. April ’68er gehen in die Betriebe Veranstalter: Neue Rheinische Zeitung – www.nrhz.de und DGB Köln Mittwoch, 16. April, 19.00 Uhr DGB-Haus, Großer Saal, Hans-Böckler-Platz Filmabend über einen Zeitungsstreik von der Film- und Video-Gruppe Köln und Diskussion mit dem Filmemacher Peter Kleinert und Wolfgang Uellenberg van Dawen, DGB-Vorsitzender Köln „Unser Gesetz heißt Solidarität“, 90 Minuten |
10 19. April bis 9. Mai 2008 „Total real“ Veranstalter: fotopension und Neue Rheinische Zeitung – www.nrhz.de 19. April (Eröffnung 19.30 Uhr) bis 9. Mai, fotopension, Marsiliusstr. 55, Köln-Sülz Eine Ausstellung mit Fotodokumenten des Kölner Schriftstellers, Journalisten und Fotografen Jens Hagen (1944 - 2004) aus der Zeit um 1968 Öffnungszeiten und aktuelle Info unter: www.fotopension.de |
11 14. Mai ’68-2008: Eine Bilanz Veranstalter: Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller und DGB Köln Mittwoch, 14. Mai, 19.00 Uhr DGB-Haus, Großer Saal, Hans-Böckler-Platz Podiumsdiskussion mit Lothar Gothe (Dipl. Sozialarbeiter, Öko-Bauer), Anne Jüssen (Autorin), Rolf Stolz (Autor), Ingrid Strobl (Autorin, Journalistin), Wolfgang Uellenberg van Dawen (DGB-Vorsitzender, Köln) Moderation: Walter van Rossum (Autor, Journalist) |
12 31. August WHAT’S LEFT? - Die 68er und ihre Erben Initiator: Art at work Sonntag, 31. August, 20.00 Uhr Comedia Colonia, Löwengasse 7-9 EIN SZENISCH-MUSIKALISCHER GENERATIONENDIALOG zwei Generationen stehen sich gegenüber: Jugendliche belächeln die Hippie-Romantik der 68er, 68er kritisieren die Jugend von heute als unpolitische ‚Spaßgesellschaft’. Während Texte und kurze dokumentarische Filmeinspielungen historische Ereignisse und Bilder ins Gedächtnis rufen, spielt das Theater mit individuellen und gesellschaftlichen Gestaltungsmöglichkeiten. Da treffen Dylan’s „Mr. Tamburineman“ auf Beck’s „Looser“, die Rolling Stones auf die Fantastischen Vier – ES KÖNNTE ALLES SO EINFACH SEIN. Akteure: Jugendliche und 68er aus Köln und Euskirchen, Moers und Mülheim a. d. Ruhr Regie: Anja Schoene / Musikalische Leitung und Arrangements: Annegret Keller und Fritz Scheyhing |
13 ff weitere Termine im 2. Halbjahr 68er Köpfe - Portrait-Ausstellung der arbeiterfotografie zur 19. Internationalen Photoszene Köln, 5.-19. Oktober, Alte Feuerwache (siehe Arbeiterfotografie-Herbst 2008) 68er international: Fotografie, Theater und Film aus Chile und Kolumbien mit Luis Cruz und Estéban Vergara (siehe Arbeiterfotografie-Herbst 2008) false flag oder wer war Fischer wirklich - Podium u.a. mit Gerhard Wisnewski („Wer die Welt mit Angst regiert“) lonely heart club disko ... critcologne ... woodstock - domplatte |
Veranstalter: DGB, Friedensbildungswerk, Art at Work, Lobby für Mädchen, Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Fotopension, Stadtbibliothek, VHS, Galerie Arbeiterfotografie, Neue Rheinische Zeitung |
Unterstützt mit Mitteln von: Kulturamt der Stadt Köln, Lit NRW (Gesellschaft für Litieratur in Nordrhein-Westfalen, Ministerpräsident des Landes Nordrehin-Westfalen, Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW |
Hier gibt's Plakat (918 KB) und Faltblatt (464 KB) als PDF-Datei |
68 und die Folgen - im Blickwinkel von Günter Zint Träume geben Kraft zum Kämpfen Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann „Wir hatten millionenfache Träume in den aufregenden Sechziger Jahren“, sagt der Fotograf Günter Zint als einer, der seinen Ideen treu geblieben und für die Verwirklichung seiner Träume bis heute eingetreten ist. Der Mensch Günter Zint ist einer der glaubwürdigen Vertreter des Aufbruchs der 68er Bewegung, die aufräumen wollte mit dem nahtlosen Übergang der NS-Bürokratie und der von ihr produzierten Notstandsgesetze. Kampf dem Vietnam-Krieg, Kampf den Diktaturen in Europa, lauteten die Forderungen. Die eindrucksvollen Fotografien von Günter Zint sind in der Galerie Arbeiterfotografie zu sehen. Am 17. April steht Zint für Fragen bereit. Vor vierzig Jahren, im April 1968, einen Tag vor seiner Ermordung mit vorausgegangenen Morddrohungen spricht der schwarze Bürgerrechtler Dr. Martin Luther King über seinen Versuch, den Amerikanern seinen Traum von Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit nahezubringen („to tell America about a dream that I had had“). Er habe auf der Spitze des Berges gestanden und - in Vorausahnung seines Todes - das „Gelobte Land, the Promised Land“ gesehen. Am 4. April 1968 war die legendäre Persönlichkeit ML King ausgeschaltet. Denn Träumer werden erschlagen. „Laßt uns den Träumer erschlagen, dann werden wir sehen, was aus seinen Träumen wird“ (1. Mose 37,20). So lautet die Inschrift in Memphis, Tennessee, am Tatort. „Hätte mir in den 60er Jahren jemand erzählt, dass in den Neunziger Jahren wieder Minderheiten gejagt und getötet werden und dass faschistische Parteien wieder Zulauf haben und Kriege mitten in Europa toben, ich hätte ihm geraten, nicht so miese Trips einzuwerfen und seinen Dealer zum Teufel zu jagen“, wettert Günter Zint im waschechten Milieu-Jargon, denn bürgerliche Anpassung steht bei dem heute 66jährigen nicht mehr zu befürchten. „Hätte mir in den Siebziger Jahren jemand erzählt, dass am Anfang des neuen Jahrtausend weltweit wieder Kriege toben, und die Amerikaner aus Vietnam nichts gelernt haben, ich hätte ihm nicht geglaubt.“ Traum- und Medienindustrien sind seit dem 20. Jahrhundert damit befaßt, den Menschen einzugeben, wovon es sich zu träumen lohnt. Und nicht von ungefähr starteten die 68er ihre Attacken gegen die Springer-Presse. „Im Ergebnis können die Massenmedien bis heute mit einem im wesentlichen unerschütterlichen Vertrauen der Betrachter von Fotos in ihren Wahrheitsgehalt rechnen. Im Ergebnis ... hat sich die Kulturindustrie in den fotografischen Abbildern eines der vielseitigsten Instrumente zur Desorientierung über deren eigene Bedürfnisse geschaffen“, konstatiert der 1976 mit Berufsverbot aus dem öffentlichen Lehrbetrieb verbannte Kunsthistoriker Richard Hiepe. Als Herausgeber der „Tendenzen“ und als Münchner Galerist war Hiepe einer der ersten, der die Fotografie - besonders die von Günter Zint - in seinen Kunstbetrieb mit aufnahm. Wie die heutige Presse mit der Geschichtsaufarbeitung umgeht, wird ringsum offenbar. Eines der erschreckendsten Beispiele ist das Pamphlet eines Götz Aly, der die Ansprüche der intellektuellen 68er Bewegung – u.a. in der ehemals angesehenen Frankfurter Rundschau - ausladend pervertiert. Pervertieren, banalisieren, sexualisieren, kriminalisieren, diffamieren, torpedieren, exekutieren, infiltrieren: es sind mehrere Todesstöße zu beobachten, die der 68er Protestbewegung versetzt werden sollten und sollen, heute im nachhinein, um die Ideen dauerhaft zu diskreditieren, und damals auf dem Höhepunkt, um die Bewegung selbst unschädlich zu machen. "Die rebellierenden Studenten sollen mit geheimdienstlichen Mitteln bekämpft werden: Agenten und V-Männer sollten eingeschleust werden, um die Steuerung der Protestbewegung zu übernehmen. Die in diesen Dingen erfahrenen Behörden der USA entwickeln für solche Fälle gar ein Handbuch: das 'Field Manual 30-31', insbesondere den 'Anhang B'. [...] Dieser Anhang zum 'Field Manual 30-31' der US-Armee ist vermutlich nichts anderes als das wahre Gründungsdokument der RAF: In die Protestbewegung eingeschleuste Provokateure sollten gewalttätige oder nicht gewalttätige Aktionen durchführen, um durch 'die Behörden des Gastlandes' (also zum Beispiel die Bundesregierung) Gegenmaßnahmen zu provozieren", schreibt in seiner Studie „Verschlußsache Terror, wer die Welt mit Angst regiert“ der Politologe Gerhard Wisnewski, der im Herbst im Rahmen der 68er-Veranstaltungsreihe nach Köln kommen wird. Die fundierte 68er Protestbewegung war zu fürchten als eine öffentliche Kraft an den kontrollierbaren Medien vorbei. Im Februar 2003 befand die New York Times im Vorfeld des sich anbahnenden Irak-Krieges, dass es jetzt zwei Supermächte auf der Erde gäbe: Die USA und die öffentliche Meinung der Welt. Präsident Bush finde sich nun Auge in Auge mit einer hartnäckigen Widersacherin, nämlich der weltweiten Antikriegsbewegung, wieder. Viele ProtagonistInnen wurden ihrer Träume und Hirne beraubt. Viele - nicht allein Martin Luther King und Benno Ohnesorg - wurden real exekutiert. Dennoch - so sagte es die damals 75jährige US-amerikanische Feministin und emeritierte Professorin Jean Grossholtz 2004 bei einem Deutschlandbesuch: „Alle für die Menschen wichtigen Bedürfnisse wurden nicht im Parlament sondern auf den Straßen erkämpft.“ Günter Zint 1941 geboren - wurde bekannt durch Fotos im Hamburger Star-Club - Standfotos zum Film mit John Lennon: Wie ich den Krieg gewann - 1969 Mitbegründer der linken Boulevardzeitung St. Pauli-Nachrichten, die sich nach ihrem Verkauf (1971) zur Sexpostille entwickelte - arbeitete für illustrierte Magazine, APO-Press, Gewerkschaften - wirkte in der Antiatom- und Ökologie-Bewegung mit - fotografisches Spektrum von Musikszene, Zeitgeschehen, Kiez-Fotos, Akt und Erotik - seit 1961 Fotos zu Undercover-Reportagen des Journalisten Günter Wallraff - Gründung des DOK-Verbandes gegen die digitale Manipulierbarkeit von Dokumentar-Fotografien - betreibt mit Hinrich Schultze und Marily Stroux das Pan-Foto-Archiv, das heute die Bestände der 1966 gegründeten Pan-Foto-Agentur verwaltet - zahlreiche Buch- und Ausstellungsprojekte, zuletzt ‘ZintStoff - 50 Jahre deutsche Geschichte’ Ausstellung bis 25. April 2008 Galerie Arbeiterfotografie, Merheimer Straße 107, 50733 Köln-Nippes, Tel. 0221/727 999 Mi/Do 17 - 20 Uhr, Sa. 10 - 14 Uhr Do, 17. April 2008 - 17 Uhr / 19.30 Uhr ZINT kommt! und stellt das Buch „ZintStoff - 50 Jahre deutsche Geschichte“ vor Kurt Holl liest aus der Neuerscheinung von „1968 am Rhein“ (2008 emons) Fr. 25. April, 19.30 Uhr Finissage mit Klaus dem Geiger Wolfgang Bittner liest aus „Der Aufsteiger“, Neuauflage 2008 im Horlemann-Verlag |
Vor 40 Jahren wurde Martin Luther King ermordet - Er hatte die Frage nach dem kapitalistischen System gestellt Der mutige Träumer Von Doris und George Pumphrey (aus Neues Deutschland, 4.4.2008) US-Regierungen bekämpften Martin Luther King zu seinen Lebzeiten und vereinnahmten ihn nach seinem Tod. Sie zelebrierten ihn als ein Symbol der Gewaltlosigkeit, die sie mit der eigenen Politik dementieren. Rassismus – darauf wies Barack Obama am 18. März in einer bemerkenswerten Rede hin – blieb in weiten Teilen der US-Gesellschaft fest verankert. Wie Kriege und soziales Unrecht. Martin Luther King hatte diesen Zusammenhang über den Kampf für Bürgerrechte hinaus erkannt: Ein System, das Bettler produziert, müsse umgebaut, die Frage nach dem Eigentum gestellt werden, sagte er. Heute vor 40 Jahren wurde er Opfer eines Attentats. Es war der Abend des 4. April 1968, als Martin Luther King in Memphis (Tennessee) auf dem Balkon des Lorraine Motels durch einen gezielten Schuss getötet wurde. Der »Einzeltäter« war schnell gefunden und die Medien sorgten für seine Vorverurteilung. James Earl Ray, der zu 99 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, erstrebte bis zu seinem Tod 1998 eine Wiederaufnahme des Verfahrens. Rays letzter Anwalt und Freund von Kings Familie, William F. Pepper, recherchierte über zwei Jahrzehnte die Hintergründe des Mordes. Auf eine Zivilklage hin urteilte ein Geschworenengericht in Memphis 1999, Regierungsorganisationen seien an der Verschwörung gegen King beteiligt gewesen. Obwohl dieser Prozess das ganze Ausmaß der Widersprüche zur offiziellen Version der »Einzeltäterschaft« offengelegt hatte, verkündete das US-Justizministerium ein Jahr später, es gäbe keine ausreichenden Gründe für eine weitere Untersuchung. Aber wer hätte ernsthaft etwas anderes erwartet nach dem Krieg, den die US-Regierung mit Hilfe des FBI gegen den prominentesten Führer der Bürgerrechtsbewegung geführt hatte? Als in der Folge des Watergate Skandals 1972 immer mehr Informationen über CIA- und FBI-Aktivitäten gegen andere Staaten und die eigene Bevölkerung öffentlich wurden, sah sich der US-Senat 1975 gezwungen, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Dessen 1976 veröffentlichter Schlussbericht gibt Einblick in die geheimdienstlichen Aktivitäten gegen Hunderttausende Bürger der USA. Auf Anordnung des FBI-Direktors J. Edgar Hoover wurde 1956 das Counter Intelligence Program (COINTELPRO) aufgelegt. Es richtete sich zunächst gegen die Kommunistische Partei der USA sowie gegen andere demokratische Organisationen und Persönlichkeiten, die sich gegen die Kommunisten-Jagd unter McCarthy wandten. In der Folgezeit wurde es auf die Opposition gegen Rassismus und Krieg erweitert. Im besonderen Visier: Martin Luther King. Er sollte »neutralisiert« werden. Wie der Senatsausschuss feststellte, unterlag das FBI in der Kampagne gegen King keinen Einschränkungen durch die Regierung. Seit Ende der 50er Jahre hatte das FBI ein Auge auf den Pfarrer geworfen. Der eloquente Organisator der Bewegung gegen die Apartheidgesetze in den Südstaaten wurde zum Symbol des Kampfes gegen die Rassendiskriminierung, der sich bald über das ganze Land ausbreitete. Als King im August 1963 vor 250?000 Demonstranten in Washington seine berühmte Rede hielt und sagte: »Ich habe einen Traum, dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einer Nation leben werden, in der sie nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilt werden«, erklärte ihn FBI-Direktor Hoover zum »gefährlichsten und wirkungsvollsten« schwarzen Führer des Landes, er stehe unter »kommunistischem Einfluss«. Das FBI beobachtete fortan alle seine Bewegungen und Aktivitäten durch Agenten, Informanten und technische Überwachung. Seine Wohnung und Hotelzimmer wurden abgehört, ebenso wie die Wohnungen und Büros seiner Mitarbeiter. Seine Organisation wurde infiltriert. Das FBI überlegte, wie es »verärgerte Bekannte«, »aggressive Journalisten«, farbige Agenten und selbst Kings Ehefrau gegen ihn benutzen und »eine gut aussehende Frau in Kings Büro platzieren« könnte. Schwächen von Mitarbeitern sollten recherchiert werden, um sie zur Spionage gegen King zu erpressen. Falsche Informationen sollten internen Streit entfachen. Das FBI warnte Kongressabgeordnete sowie kirchliche Repräsentanten und Organisationen vor der »Gefahr«, die King darstelle. Selbst der Papst sollte beeinflusst werden, King nicht zu empfangen. Es wurde versucht, auf Regierungen der Länder einzuwirken, die King anlässlich des Erhalts des Friedensnobelpreises besuchen wollte, damit sie ihm keinen allzu großen Empfang bereiten würden. Universitäten sollten davon abgebracht werden, King die Ehrendoktorwürde zu verleihen. Gerüchte über ein geheimes Schweizer Bankkonto und persönliche Bereicherung Kings wurden gestreut, um Spenden für den Kampf zu verhindern. Ganz besonders bemühte sich das FBI um die Medien. Über Kontakte mit Journalisten sollten Artikel, die positiv über King berichten, verhindert und negative platziert werden, entweder direkt aus der Feder des FBI oder durch Lieferung »vertraulicher Informationen«. Doch der Kampf der Schwarzen war nicht aufzuhalten. Gleichzeitig wuchs die Opposition gegen den Vietnamkrieg. King stand unter Druck: Weiße Sympathisanten aus bürgerlichen Kreisen, vor allem in Politik und Medien, warnten ihn davor, sich in einen Krieg einzumischen, »den die USA gegen den Kommunismus führt«. Und wohlhabendere Schwarze befürchteten, dies könnte der Durchsetzung der Bürgerrechte schaden. Schließlich durchbrach King, was er »den Verrat meines eigenen Schweigens« nannte. Er wollte nicht länger zusehen, wie schwarze und weiße Amerikaner, die in den Schulen ihres Landes nicht nebeneinander sitzen durften, in Vietnam »miteinander in brutaler Solidarität die Hütten eines armen Dorfes niederbrennen.« ?Die Abschaffung der Apartheidgesetze war unter seiner Führung erkämpft worden. Doch King ging weiter. Er fragte, was es nütze, wenn Schwarze zwar das Recht erkämpft hätten, im Restaurant neben Weißen zu sitzen, viele von ihnen und alle anderen Armen sich aber kein Essen im Restaurant leisten könnten. Er begann die Fundamente des amerikanischen Systems in Frage zu stellen. In den schwarzen Ghettos des Nordens rebellierten die Armen gegen die rassistische Unterdrückung. Konfrontiert mit der Gewalt, die von Washington aus vor allem gegen die Schwarzen im eigenen Land und gegen die Bevölkerung Vietnams ausgeübt wurde, erklärte der Mann, der zum Symbol des gewaltlosen Kampfes geworden war, er könne nicht länger die Gewalt der Unterdrückten kritisieren, solange er zur Gewalt der eigenen Regierung schweige. Am 4. April 1967, genau ein Jahr vor seiner Ermordung, klagte King die US-Regierung als den »größten Gewaltausüber in der heutigen Welt« an. In einer Rede in der Riverside Church in New York, kritisierte er die »tödliche westliche Arroganz, die die internationale Atmosphäre vergiftet«, die »Überheblichkeit des Westens, der meint, alle anderen belehren zu müssen, ohne selbst von ihnen zu lernen«. Er forderte, die Stimme für die zu erheben, »die als unsere Feinde bezeichnet werden« und »den Standpunkt des Gegners zu verstehen, seine Fragen zu hören und zu lernen, wie er uns einschätzt.« Er appellierte an die US-Soldaten, den Dienst in einem Krieg »auf der Seite der Wohlhabenden und Gesicherten gegen die Armen« zu verweigern. Kings Kritik richtete sich nicht nur gegen die Unterstützung der US-Regierung für die südvietnamesische Militärdiktatur, sondern gegen die Grundlage der Außenpolitik der USA, die im Bündnis mit den Reichen Kriege gegen die Armen in Asien, Afrika und Lateinamerika führten. Er forderte eine »Revolution der Werte«. Denn wenn »Profitstreben und Eigentumsrechte für wichtiger gehalten werden als die Menschen, dann wird die schreckliche Allianz von Rassenwahn, Materialismus und Militarismus nicht mehr besiegt werden können«. Für Martin Luther King war fortan der Kampf gegen Rassismus, gegen Krieg und soziales Unrecht ein einziger Kampf. Das offizielle Washington war besorgt. Die Medien wandten sich gegen ihn. King drohte vom populären Sprecher für die Gleichheit der Schwarzen vor dem Gesetz zum Sprecher für alle zu werden, die unter sozialem Unrecht und Krieg litten. Er plante die »Kampagne der Armen«, die im Frühjahr 1968 einen Höhepunkt finden sollte: Eine »Armee der Armen aller Rassen« sollte nach Washington marschieren und die Stadt und den Kongress mit Massenaktionen des zivilen Ungehorsams lahmlegen. Die Unterstützung des Streiks der Müllabfuhrarbeiter in Memphis (Tennessee) sollte die »Kampagne der Armen« einläuten. Am 5. April wollte Martin Luther King ihren Protestmarsch anführen. Eines Tages müsse die Frage gestellt werden, warum es so viele Arme in Amerika gibt, hatte Martin Luther King erklärt, »wenn wir aber diese Frage stellen, dann stellen wir die Frage nach dem kapitalistischen System«. |
Martin Luther King: 'Jenseits von Vietnam' - Auszüge aus seiner Rede in der Riverside Church in New York am 4. April 1967 Übersetzung Doris Pumphrey (...) Für die Vietnamesen müssen die Amerikaner seltsame Befreier sein. Nach der französisch-japanischen Besatzung und vor der kommunistischen Revolution in China, erklärte das vietnamesische Volk unter der Führung Ho Chi Minhs 1945 seine Unabhängigkeit. In ihrem Freiheitsdokument zitierten die Vietnamesen die amerikanische Unabhängigkeitserklärung, aber wir lehnten es ab, sie anzuerkennen. Stattdessen beschlossen wir, Frankreich bei der Wiedereroberung seiner früheren Kolonie zu unterstützen. Unsere Regierung meinte, die Vietnamesen seien noch nicht „reif“ für die Unabhängigkeit. Wir wurden wieder einmal Opfer jener tödlichen westlichen Arroganz, die die internationale Atmosphäre schon so lange vergiftet. (...) Nachdem die Franzosen besiegt waren, sah es so aus, als ob die Genfer Abkommen den Weg für die Unabhängigkeit und die Landreform wieder freimachen könnten. Stattdessen aber kamen die Vereinigten Staaten. Sie wollten nicht zulassen, dass Ho Chi Minh die zeitweise geteilte Nation wiedervereinigt. Und die Bauern mussten erneut zusehen, wie wir einen der brutalsten modernen Diktatoren unterstützten - den von uns auserkorenen Premierminister Diem. (...) Was müssen sie von uns Amerikanern denken, wenn ihnen klar wird, dass wir die Unterdrückungsmaßnahmen und Grausamkeiten eines Diem billigten, die der Grund für ihren Zusammenschluss als Widerstandsgruppe im Süden wurde? Was müssen sie von uns denken, wenn wir jene Gewalt billigen, die sie zu den Waffen greifen ließ? (...) Wie können sie uns vertrauen, wenn wir ihnen jetzt Gewalt vorwerfen, nach der mörderischen Gewalt eines Diem? Wie können wir ihnen Gewalt vorwerfen, während wir den Tod mit unseren neuesten Waffen über ihr Land bringen? (...) Wir müssen doch erkennen, dass unsere mit Computern errechneten Vernichtungspläne selbst ihre größten Gewalttaten vergleichsweise unerheblich erscheinen lassen. (...) Der Krieg in Vietnam ist nur ein Symptom einer viel tiefer liegenden Erkrankung des amerikanischen Geistes. (...) Seit zehn Jahren können wir die Entstehung einer neuen Form der Unterdrückung beobachten. Sie soll die Anwesenheit amerikanischer Militär-»Berater« in Venezuela rechtfertigen. Die konterrevolutionären Aktionen amerikanischer Streitkräfte in Guatemala dienen der Aufrechterhaltung des Status quo zur Sicherung unserer Investitionen. Dem gleichen Ziel dienen amerikanische Hubschrauber gegen die Guerilla in Kolumbien und amerikanisches Napalm und die Green Beret Elitetruppen gegen Rebellen in Peru. (...) (...) Bald wird eine echte Revolution der Werte den eklatanten Gegensatz von Armut und Reichtum mit großer Unruhe wahrnehmen. Mit gerechter Empörung wird sie nach Übersee blicken und merken, wie Kapitalisten des Westens riesige Geldbeträge in Asien, Afrika und Lateinamerika investieren, nur für den eigenen Profit und ohne jegliches Interesse an sozialem Fortschritt in diesen Ländern, und sie wird ausrufen: »Das ist ungerecht.« Sie wird unser Bündnis mit den Großgrundbesitzern Lateinamerikas sehen und ausrufen: »Das ist ungerecht.« Ungerecht ist auch die Arroganz des Westens, der meint, alle anderen belehren zu müssen ohne selbst von ihnen zu lernen. (...) Es ist eine traurige Tatsache, dass westliche Nationen, die der modernen Welt so viel revolutionären Geist gegeben haben, heute aus Bequemlichkeit, Gleichgültigkeit, panischer Angst vor dem Kommunismus und der Bereitschaft sich mit Ungerechtigkeiten zu arrangieren, zu den schärfsten Gegnern der Revolution geworden sind. (...) Wir müssen erkennen, dass die Zukunft heute beginnt. Das Heute konfrontiert und fordert uns heraus. Das sich vor uns entfaltende Rätsel des Lebens und der Geschichte kennt auch ein »zu spät«. (...) Wir müssen die Unentschlossenheit überwinden und handeln. (...) Beginnen wir jetzt. Lasst uns den Kampf wieder aufnehmen, den langen und schwierigen – aber auch schönen –- Kampf für eine neue Welt. (...) |