Stuttgart, 9.10.2010 - "Baustopp jetzt" - 150.000 Menschen protestieren gegen Stuttgart 21 |
Hinter der Fassade von 'Demokratie' und 'sozialer Marktwirtschaft' Thomas Trueten über die Großdemonstration Am 09. Oktober kam es in Stuttgart erneut zu einer Großdemonstration gegen Stuttgart 21. Bis zu 150.000 Menschen waren nach Angaben der Organisatoren auf der Straße. Angeführt wurde die bislang größte Protestdemo von hunderten Radfahrern. Die Proteste gegen Stuttgart 21 haben sich in den letzten Wochen ebenfalls enorm weiter entwickelt. Insbesondere die kämpferischen Teile der Bewegung, sich politisierende Jugendliche, linke AktivistInnen, klassenkämpferische GewerkschafterInnen und BürgerInnen, die sich nicht länger alles gefallen lassen wollen, zeigen ein enormes Durchhaltevermögen und haben einen hier in diesem Ausmaß kaum gekannten Widerstandswillen entwickelt. Nachdem sich die Polizei - wohl in der Hoffnung die Proteste würden spätestens nach Beginn der Abrissarbeiten nachlassen - bei früheren Protesten gegen Stuttgart 21 auffällig zurückhielt, ist sie am 30. September mit enormer Gewalt gegen Blockaden im Schlosspark vorgegangen. Selbst Teile der bürgerlichen Medien sahen sich gezwungen, den Polizeieinsatz zu hinterfragen, wenngleich die tatsächlichen Vorkommnisse mit mehreren hundert durch Knüppel, Pfefferspray und Wasserwerfer Verletzten durch die meisten Medienberichte immer noch relativiert werden. Polizeieinsätze wie dieser sind dann üblich, wenn Protest- und Widerstandsbewegungen zu sehr an Stärke gewinnen, sich nicht auf unbedeutende Aktionsformen beschränken und drohen, sich durchzusetzen und ihnen daher zumindest Grenzen aufgezeigt werden sollen. Bisher hat die Bewegung gegen Stuttgart 21 auf die Eskalation richtig reagiert und viele der Aktiven sind in ihren Bestrebungen sogar bestärkt worden. Es gibt aber auch Stimmen, die vor allem auf Legalismus, die Landtagswahlen und möglichst wenig Konfrontation setzen. Bei der Abschlusskundgebung erhielten die Redner eher verhaltenen Beifall, die die Bewegung zurückzerren wollen, indem sie auf die Schlichtung durch Heiner Geißler setzen. Der angebliche Baustopp entpuppt sich bei genauerem Hinsehen denn auch als Mogelpackung, da zum gegenwärtigen Zeitpunkt laut Bauplan sowieso keine weiteren Abrissmaßnahmen geplant waren. Die Absenkung des Grundwasserspiegels dagegen wird gegenwärtig offenbar trotzdem durchgeführt und bedroht nicht nur die Mineralquellen, sondern alle Bäume im Park, denen damit das Wasser abgegraben wird. Die nächsten Wochen werden entscheiden, ob die Bewegung weiterhin an Entschlossenheit gewinnt und sich dementsprechend auch durchsetzen kann, oder ob Beschwichtigungsversuche und evtl. kleinere Zugeständnisse, sowie Einschüchterungen es vermögen, sie zu schwächen. Es geht dabei längst nicht nur um das Bahnprojekt, sondern auch um einen Politisierungsprozess zahlreicher Menschen, die selbst handeln, bereit zur Konfrontation mit Regierung und Polizei sind und sich mit dem, was hinter der Fassade von "Demokratie" und "sozialer Marktwirtschaft" steckt, immer kritischer auseinandersetzen. |