„Ich bestehe darauf, die Zukunft zu malen und nicht die Krise“, postuliert der 1955 geborene Berliner Maler und Grafiker Thomas J. Richter. Es will und kann sich nicht einpassen in die postmoderne Warenwelt. Mit seinen erotischen Zeichnungen, Holzschnitten, Gemälden nimmt er eine auffällige Außenseiterposition im zeitgenössischen Kunstgeschehen ein. Denn Richter beharrt auf dem uralten Wissen, dass Kunst den Menschen zur Selbsterkenntnis dient. Seine satt-sinnlichen Bilder berühren immer noch vorhandene Tabus und sind im Grunde unserer Zeit voraus, weil sie - scheinbar naiv - auf jede Effekthascherei, jedes Blendwerk verzichten und von besseren, paradiesischen Zeiten künden - nach der Revolution. „Mein Thema“, sagt Richter, „ist der schöne Mensch, wie Marx ihn beschrieben hat. Nur der Mensch handelt nach dem Maß der Schönheit. Zur Natur des Menschen gehört, dass er seine natürlichen Sinne einsetzt, dass diese nicht von Marktgesetzen verbogen werden. Dass er sich Kunst, Literatur, Musik und vor allem seinen Liebsten zuwendet.“


20 Jahre Galerie Arbeiterfotografie
Erotik den Menschen, nicht den Machthabern!
(erschienen in Lokalberichte Köln, 16.4.2010)

Während kirchliche und andere Würdenträger die menschliche Sexualität von alters her in den Dreck ziehen, ohne Rücksicht auf die seelischen Qualen ihrer Opfer, arbeitet ein Künstler beharrlich daran, dem Menschen seine Würde zu bewahren. Die zarte, die erotische Seite der menschlichen Existenz war schon immer ein Thema der Maler und Zeichner. Doch der Berliner Künstler Thomas J. Richter begnügt sich nicht mit der Darstellung menschlicher Schönheit. Für ihn steht das menschliche Tun im Mittelpunkt. Und so zeigt die Ausstellung, die am Vorabend des 1. Mai in Köln eröffnet wird, den Liebesakt in allen nur erdenklichen Formen und Farben. Frau und Mann als Handelnde, die sich nicht mehr der Entfremdung durch Konsumwelt, durch Schönheitskonkurrenzen, durch Konkurrenzdenken überhaupt unterwerfen.

Während eine gewachsene Zahl von Abgeordneten der Partei DieLinke in den Bundestag eingezogen ist, wuchs auch der Bestand an Bildern von Richter, die quasi im Verborgenen in Büros der Linken hängen. Das ist kein Zufall. Beim 1955 in Ost-Berlin geborenen Richter besteht ein unvermeidlicher Zusammenhang zwischen seiner künstlerischen Haltung und seinem politischen Engagement. „Ich bestehe darauf, die Zukunft zu malen und nicht die Krise“, sagt er. „Mein Thema ist der schöne Mensch, wie Marx ihn beschrieben hat. Nur der Mensch handelt nach dem Maß der Schönheit. Zur Natur des Menschen gehört, dass er seine natürlichen Sinne einsetzt, dass diese nicht von Marktgesetzen verbogen werden. Dass er sich Kunst, Literatur, Musik und vor allem seinen Liebsten zuwendet.“

Schönheit ist das Einfache, das schwer zu erreichen ist. Richter versucht es unermüdlich und ohne Rücksicht auf den Kunstmarkt. Er schneidet in Holz, arbeitet mit Tusche, Zeichenstift, Ölfarbe. Mal entstehen schlichte erotische Szenen, mal - Meisterwerke. Seine satt-sinnlichen Bilder berühren Tabus und sind im Grunde unserer Zeit voraus, weil sie - scheinbar naiv - auf jede Effekthascherei, jedes Blendwerk verzichten und dabei von besseren, paradiesischen Zeiten künden.

Heike Friauf


Die Galerie Arbeiterfotografie zeigt
Arbeiten des eigensinnigen kommunistischen Künstlers Thomas J. Richter

Niemandem dienen und doch der Sache treu
(erschienen in Unsere Zeit, 23.4.2010)

„Nicht einen Klang geb ich euch ab“, so selbstbewusst heißt das 1985 von der DKP herausgegebene, reich bebilderte Lesebuch zu Kunst, Kultur und Politik. Es versammelt herausragende Dokumente menschlicher Kreativität und Gedankenleistung, und zwar vom Anbeginn der bildnerischen und schriftlichen Überlieferung bis heute. Es gehört im Grunde in jede Schulmappe. Dass es dazu nicht kommt, dass das künstlerische Erbe solidarisch empfindender Menschen zerstört oder für die Belange des nurmehr marktorientierten Kulturbetriebs missbraucht wird, ist täglich zu beobachten. Obendrein werden die kommunistischen Überzeugungen von Künstlern wie Bert Brecht oder Diego Rivera verschwiegen, wenn ansonsten Geld mit ihnen zu machen ist.

Vom Land der Dichter und Denker ist nicht mehr viel zu sehen. Überall in Deutschland werden Bibliotheken abgeschafft, Theater dichtgemacht, Jugendzentren privatisiert. Die traditionsreiche Stadt Wuppertal wird für ihre Bürger praktisch geschlossen. Als ob Kultur kein Lebensmittel der Menschen wäre, so notwendig wie Wasser und Brot. Wer möchte ohne Musik sein, ohne Bilder? Um so wichtiger ist, eigene kritische Kulturarbeit zu unterstützen und zu stärken. Die in Köln ansässige Galerie Arbeiterfotografie zeigt seit nunmehr 20 Jahren politisch wichtige Fotodokumente und aktuelle Reportagen, darunter auch Arbeiten von hohem künstlerischen Niveau. Am Vorabend des 1. Mai eröffnet sie eine Ausstellung mit Zeichnungen, Druckgrafik und Gemälden des Berliner Künstlers Thomas J. Richter.

Warum ausgerechnet ein Vertreter der Berliner Schule, der auf malerischer Tradition beharrt? Der 1955 geborene Richter stammt aus einer Familie kommunistischer Künstler, er bekennt sich zu seiner Ausbildung in der DDR. Seit deren Anschluss sucht und findet er die politische Zusammenarbeit mit Genossinnen und Genossen. Gleichzeitig erarbeitet er eine eigene Bildwelt, die im heutigen Kunstgeschehen ihresgleichen sucht. Das liegt nicht nur an der eindeutig erotischen Motivik, sondern an Richters Beharren auf dem eigenen künstlerischen Ausdruck, ob dieser nun Freunde findet, im politischen Kampf zu verwenden ist oder nicht.

Der Schriftsteller Christian Geissler schrieb über seine Freundschaft zu Richter: „schon war es unser wunsch / war es die lust von richter und geissler / die bilderarbeit des einen / und die wörterarbeit des andren / seit an seit zu stellen. / faust an faust. / nämlich hand in hand. // wie aber passt das kleine massengrab ins große königshaus? // aber nämlich etwa doch nicht / will der text dem bild / das bild dem text / dienen? // wir dienen niemand. / wir passen nie. / wir nennen das den kommunistischen eigensinn. / jeder er selbst als wir selbst. / unverbrüchlich. / mitten im weißen weltschlamassel. / furchtbar einfach. // auf geht’s!“

Mit diesem kleinen dialektischen Meisterstück holt der Schriftsteller seinen Künstlerfreund Thomas J. Richter und sich selbst aus dem typischen Dilemma kommunistischer Künstler, die sich - notfalls gegen Parteiraison - auf das eigene Werk konzentrieren müssen, um es überhaupt zu erschaffen („jeder er selbst“). Und gleichzeitig solidarisch sind („faust an faust“, „als wir selbst. unverbrüchlich“) um der gemeinsamen Sache, des gemeinsamen Kampfes willen. Einen kleinen Einblick in das meist verborgene Werk eines großen Berliner Künstlers ermöglicht jetzt eine politisch engagierte Kölner Galerie.

Christiane Bach


Eröffnung am 30. April 2010 in der Galerie Arbeiterfotografie in Köln (Fotos von Senne Glanschneider, Andreas Neumann und Gabriele Senft)


Ungehaltene Rede
(erschienen in junge Welt, 10.5.2010)

Pornographie ist ja, wie allgemein bekannt, die Abwesenheit von Eros, Lebensfreude und freundlichem Miteinander. Entstanden ist dieses eklige Massenphänomen, denke ich, mit dem Kapitalismus und es hat seinen immer wieder neuen Anfang in Profitsucht, Menschenverachtung, Neid und Mißgunst, wie einige Antipornographie-Kampagnen übrigens auch. Pornographie produziert ständig überflüssige Konsumgüter, produziert das Fernsehen, Formel-1-Autos, US-amerikanische und deutsche Offiziere, Toilettensprays und immer die falschen Bilder und Vorstellungen. Auch in unseren Köpfen. Zum Beispiel die, daß es sich bei meinen Gemälden und Zeichnungen um Pornographie handelt.

Gerade in den christlich-abendländisch dominierten Metropolen gibt es eine manchmal lustige Erscheinung: In der zur Zeit leider etwas klein geratenen Welt der mehr oder weniger radikalen Linken haben sich kleine eisige Biotope der doch eher aus dem akademischen postchristlichen Mittelstandsmilieu heraus entwickelten Radikal-Genderei gebildet, in denen ganz ganz streng über die Hochmoralität der Bewußtheit einer revolutionären Klasse gewacht wird, so sehr gewacht wird, daß mir Angst und Bange wird. Und mir, wäre das alles nicht allzu blöde, Bedenken um des Fortbestehens der Menschen beziehungsweise Menschinerinnen oder so kommen müßten.

So ist mir allen Ernstes auf einer Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin der bitter-wütende Vorwurf gemacht worden, einen irgendwie alten Mann aufgemalt zu haben, der die eine Hand zur Faust ballt und in den Himmel reckt, mit der anderen unsittlich besitzergreifend - er hatte den Arm um sie gelegt - eine Frau berührt.

Das dürfte nun einem schwulen Mann, der die Vierzig überschritten hat und in einer bayerischen bundeswehrstandortnahen Kleinstadt wohnt, das dürfte wohl einer alleinerziehenden rumänischen Arbeiterin in einem Vorort von Bukarest, der man vor vielen Monaten schon Strom und warmes Wasser abgestellt hat, so ziemlich scheißegal sein. Einer revolutionären Aktivistin wie mir ziemlich scheißegal.

Moralinsauer nannte man das in der Zeit, in der ich lachen und kichern lernte. Hübsche Genderchen zwischen die Beine zu schmeißen, dazu muß Zeit sein und damit ist der revolutionären Aufsichtspflicht Genüge getan.

Thomas J. Richter
Anläßlich der Ausstellung „Eros und Revolution", eröffnet am Vorabend des 1. Mai 2010, Galerie Arbeiterfotografie, Köln