Operation Russland |
Public Death Relations Wie Margaret Thatchers PR-Spezialist aus dem Sterben von Alexander Litwinenko eine antirussische Propagandakampagne machte - Artikel von Jürgen Elsässer aus 'junge Welt' vom 21.12.2006 Die britische Polizei hat ihre Ermittlungen zum Mordfall Alexander Litwinenko in Moskau am Dienstag abgeschlossen. Den Beamten von Scotland Yard, die am 4. Dezember in Moskau eingetroffen waren, sei »vollständige und umfassende Unterstützung« gewährt worden, meldete die Nachrichtenagentur AP. Schon am Montag hatte man im neuen Focus lesen können, daß Dimitri Kowtun, eine der letzten Kontaktpersonen Litwinenkos und wie dieser mit dem radioaktiven Gift Polonium verseucht, die gängigen westlichen Schuldzuschreibungen nicht teilt. Der russische Geheimdienst stecke »100prozentig nicht hinter dieser Sache«, sagte er dem Blatt. Damit scheint die Kampagne westlicher Kreise zur Diskreditierung Rußlands vorerst ihren Schwung verloren zu haben. Am 27. November hatte der US-Rußlandexperte David Satter im Wall Street Journal diese Strategie so umrissen: »Der Westen muß beim Finden der Killer auf der Kooperation des FSB bestehen. Wenn es dabei nicht vorangeht, sollte man davon ausgehen, daß der Mörder Litwinenkos auf Order des russischen Regimes handelte. Unter solchen Umständen sollte Rußland nicht nur von der G8 ausgeschlossen werden, sondern die ganze Struktur der gegenseitigen Beratung und Kooperation müßte neu bewertet werden.« Beresowskis Netz Der Todeskampf von Litwinenko begann am 1. November – am Abend dieses Tages fühlte er sich unwohl und wurde in ein Londoner Krankenhaus eingeliefert. Doch erst am 11. November sprach Litwinenko vom Krankenbett aus mit dem britischen Staatssender BBC über seine mutmaßliche Vergiftung. Die Fotos des schwer gezeichneten Ex-Agenten – binnen Tagen hatte er alle Haare verloren – gingen um die Welt. Während die Strahlenopfer von US-amerikanischen Uranbomben im Irak noch nie den Weg in die Hauptnachrichtensendungen gefunden haben, dominierte der todkranke Russe tagelang auf allen Kanälen. Der Grund: Sein fotogenes Sterben wurde von Profis gemanagt. Die PR-Agentur Chime Communications hatte sich seiner angenommen – vollkommen unentgeltlich. Kampagnenchef der Agentur ist Timothy Bell, der von der britischen Premierministerin Margaret Thatcher in den Adelsstand erhoben worden war, nachdem die streitbare Konservative mit seinen Werbefeldzügen gleich drei Wahlen in Folge gewonnen hatte. Auch McDonald’s, Rolls Royce, der Medientycoon Rupert Murdoch und der Sultan von Brunei gehören zu den Kunden Bells. Sein letzter Job war die Beratung der irakischen Marionettenregierung bei der »promotion of democracy«. Anfang der neunziger Jahre arbeitete Bell für den damaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin. Dessen Politik der Schockprivatisierung ermöglichte es Kriminellen wie Boris Beresowski, staatliches Eigentum zu Spottpreisen zu ergaunern. Als Jelzin 2000 an der Staatsspitze abgelöst wurde, gerieten die Oligarchen unter Druck. Beresowski setzte sich nach London ab und nahm dort den Kontakt zu Bell wieder auf. Dritter im Bunde war Alex Goldfarb, ebenfalls ein Exilrusse. Als Freund Litwinenkos bat er Chime Communications im November um Unterstützung. Der letzte Wille Ein Trumpf bei der antirussischen Medienkampagne war insbesondere das politische Testament, das Litwinenko hinterließ. Darin hieß es direkt gegen Wladimir Putin gewendet: »Sie werden mich vielleicht erfolgreich zum Schweigen bringen, aber dieses Schweigen hat seinen Preis. Sie haben sich genauso barbarisch und unbarmherzig gezeigt, wie es ihre schlimmsten Kritiker behaupten.« Das Testament datiert vom 21. November, wurde aber erst nach Litwinenkos Tod am 23. November von Goldfarb veröffentlicht. Seltsam: Der Todkranke verfaßte es auf englisch, nicht in seiner Muttersprache russisch. Noch seltsamer: Das Dokument wurde auf einem Computer getippt. Von Litwinenkos Hand stammt nur die Unterschrift. Zur Emotionalisierung der Weltöffentlichkeit war folgende Passage des Briefes besonders geeignet: »Aber während ich hier liege, kann ich ganz deutlich das Flügelschlagen des Todesengels hören.« Das ist der literarische Stil des viktorianischen Zeitalters– aber schreibt so ein Agent, der noch dazu kein Muttersprachler ist? Die Londoner Tageszeitung Guardian bilanzierte: »Diese PR-Kampagne wurde ersonnen, um die russische Regierung zu diskreditieren, und von Boris Beresowski bezahlt.« Das blaue Leuchten von Polonium Litwinenko wurde vielleicht gar nicht vergiftet, und auf jeden Fall nicht am 1. November - Von Jürgen Elsässer aus 'junge Welt' vom 21.12.2006 Am Abend des 1. November fühlte sich der Ex-Agent Litwinenko übel und mußte in ein Londoner Krankenhaus. Daraus haben die Medien bisher zumeist geschlossen, daß er am selben Tag auch vergiftet worden sein muß. Der Verdacht fiel auf zwei Treffen mit zwielichtigen Figuren, zum einen an der Bar des Millenium Hotels und zum anderen im Sushi Restaurant Itsu. In beiden Lokalen wurden auch Spuren des Giftes Polonium gefunden, das den Russen nach über dreiwöchigem Todeskampf umgebracht hat. Doch zumindest ein Faktum spricht gegen den Termin 1. November: Dimitri Kowtun, einer der zwielichtigen Gesprächspartner, schleppte Poloniumspuren auch nach Hamburg und in ein Dorf in Schleswig-Holstein, wo seine frühere Frau beziehungsweise deren Mutter wohnen. Dies geschah jedoch bereits Ende Oktober. Die Art der Spuren, die Kowtun hinterlassen hat, deutet darauf hin, daß er die radoaktive Substanz bereits im Körper hatte und über Transpiration ausschied: Deswegen konnte auf dem Sitz des Autos, das ihn am Flughafen abgeholt, und auf dem Sofa, auf welchem er geschlafen hatte, Strahlung nachgewiesen werden – nicht jedoch in der Maschine, mit der er nach London zurückflog. Offensichtlich hatte Kowtun morgens geduscht und die frische Kleidung nicht so schnell durchgeschwitzt. Wenn Kowtun (oder ein anderer Verdächtiger) Litwinenko vergiftet hat, muß es also vor dem 1. November passiert sein. Möglich ist aber auch das Umgekehrte: daß Litwinenko das Gift auf Kowtun übertragen hat. Allerdings nicht absichtlich, sondern weil er selbst so vollgestopft damit war, daß er es bei jedem Hautkontakt weitergab. Das in der Leiche festgestellte Polonium betrug das Hundertfache der tödlichen Dosis. Daraus entwickelte Scotland Yard – so jedenfalls die britische Wochenzeitschrift Sunday Express am 4. Dezember – zeitweilig die Hypothese, daß der Russe das Polonium geschmuggelt habe, und zwar durch absichtliches Verschlucken, wie es ansonsten Drogenkuriere praktizieren. Eine der Kapseln, mit Hilfe derer der Stoff ohne gefährliche Rückstände wieder hätte ausgeschieden werden können, sei geborsten und habe zur letalen Vergiftung geführt. Vier Indizien sprechen für diese These: Zum einen war Litwinenko chronisch klamm und hätte mit dem in seinem Körper befindlichen Polonium etwa 20 Millionen Euro verdienen können. Zum zweiten hat er schon radioaktive Stoffe geschmuggelt, und zwar nach Aussagen seines dubiosen Geschäftsfreundes Mario Scaramella im Jahr 2000 von Rußland nach Zürich. Zum dritten hatte er ein freundschaftliches Verhältnis zu Terroristen – der sogenannte Außenminister Tschetscheniens lebt unter dem Schutz der britischen Regierung in London und war sein Nachbar. Nach dessen Aussage ist Litwinenko sogar auf dem Sterbebett zum Islam übergetreten. Zum vierten wurden – so das Internetportal russland.ru – in Litwinenkos Dickdarm drei unbekannte Objekte »fester Struktur« festgestellt, die blau schimmerten – wie Polonium während des Zerfalls. Klinikdirektor Geoff Bellingan trat jedoch entsprechenden Spekulationen entgegen: Der Farbton stamme von Medikamenten, die dem Kranken verabreicht worden seien. Wen traf Litwinenko am 1. November? Who is Who - Aus 'junge Welt' vom 21.12.2006 Mario Scaramella: Neffe des früheren Gouverneurs der italienischen Region Kampanien, des Postfaschisten Antonio Rastrelli. Als wissenschaftlicher Berater diente er einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß, den die Regierung von Silvio Berlusconi vor den Neuwahlen im April 2006 eingesetzt hatte. »Scaramella fiel durch die nicht bewiesene Behauptung auf, der derzeitige Ministerpräsident Romano Prodi habe mit dem KGB in Verbindung gestanden«, meldete jetzt die FAZ. Und weiter: »In Italien wird derzeit gegen Scaramella wegen Geheimnisverrat und Waffenhandel ermittelt. Im Falle eines illegalen Uranhandels hatte sich Scaramella zuvor selbst gestellt.« Der Mann hatte offensichtlich Zugang zu radioaktiven Substanzen. Außerdem soll Scaramella über sein dubioses »Präventionsprogramm gegen Umweltkriminalität« enge Beziehungen zum Pentagon-Geheimdienst haben. Scaramella habe sich gebrüstet, er könne sich auf »Dick Cheneys Team im Weißen Haus« verlassen. Andrej Lugowoj: Der Russe wird in der Presse meist als ehemaliger KGB-Mann bezeichnet, was den Verdacht gegen den Kreml erhärten soll. Tatsächlich arbeitete er Anfang der neunziger Jahre als Personenschützer für die damalige Staatsspitze, unter anderem für Premier Jegor Gaidar, einen der Protagonisten der räuberischen Privatisierung. 1996 quittierte Lugowoj aber den Staatsdienst und wurde Chef des Sicherheitsapparats des vom größten Oligarchen Boris Beresowski betriebenen Fernsehsenders ORT. Im April 2001 versuchte Lugowoj, einen von Beresowskis Managern gewaltsam aus einer Haftanstalt zu befreien. Die Aktion scheiterte, Lugowoj wurde zu 14 Monaten Gefängnis verurteilt. Dimitri Kowtun: Jugendfreund von Lugowoj, später zusammen mit ihm auf der sowjetischen Militärakademie. 1991 in Deutschland aus der Sowjetarmee desertiert. Erhielt schnell eine Aufenthaltsgenehmigung, möglicherweise durch Fürsprache des BND. Gründete nach der Haftentlassung Lugowojs (s.o.) mit diesem zusammen eine private Sicherheitsfirma am Stadtrand von Moskau. |
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