Drohender Kriegsschauplatz Iran
Desinformation im 'Kölner Stadt-Anzeiger'
Äußerungen von Mohamed ElBaradei am 24.5.2007 in Sachen Iran

AF, 29.5.2007 -- Am Freitag, 25.5.2007, prangt auf der Titelseite des 'Kölner Stadt-Anzeiger' die Schlagzeile "Baradei: Iran hat Atomwaffen in drei Jahren". Damit müssen die Leser annehmen, der Generaldirektor der Internationalen Atomenergieorganisation vertrete die Auffassung, der Iran entwickle Atomwaffen und werde in drei Jahren die Entwicklung soweit abgeschlossen haben, daß er über einsatzfähige Atomwaffen verfüge. Das ist unwahr. Leser werden in die Irre geführt. Es drängt sich der Verdacht auf, daß die Formulierung der Schlagzeile nicht der Unfähigkeit des verantwortlichen Redakteurs entspringt, sondern es sich um eine bewußte Verfälschung mit der Absicht der Desinformation handelt.

Artikel auf der Titelseite des 'Kölner Stadt-Anzeiger' vom 25.5.2007

Tatsächlich hat der Generaldirektor der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEA), Mohamed ElBaradei, am 24.5.2007 am Rande einer in Luxemburg abgehaltenen Konferenz mit dem Titel 'International Conference on the Prevention of Nuclear Catastrophe' (Internationale Konferenz zur Verhinderung einer nuklearen Katastrophe) bei einer Pressekonferenz geäußert: "I tend, based on our analysis, to agree with people like John Negroponte and the new director of the CIA, who are saying that even if Iran wanted to go for a nuclear weapon, it would not be before the end of this decade or sometime in the middle of the next decade. In other words three to eight years from now." (Reuters vom 24.5.2007) In deutscher Übersetzung: "Basierend auf unseren Analysen neige ich dazu, mit Leuten wie John Negroponte und dem neuen CIA-Direktor übereinzustimmen, die sagen, wenn der Iran Nuklearwaffen überhaupt anstrebt, würde es nicht vor dem Ende dieses Jahrzehnts oder in der Mitte des darauffolgenden Jahrzehnts soweit sein - mit anderen Worten: in drei bis acht Jahren."

Die Schlagzeile "Baradei: Iran hat Atomwaffen in drei Jahren" enthält in zweierlei Hinsicht die Unwahrheit. Zum einen ist die Zeitangabe verfälscht. Zum anderen wird die einschränkende Annahme unterschlagen. Was die Zeitangabe betrifft, widerlegt sich der 'Kölner Stadt-Anzeiger' im Artikel selbst, indem er ElBaradeis Äußerung wie folgt wiedergibt: "Denn 'frühestens in drei bis acht Jahren' werde der Iran über Atomwaffen verfügen." Drei bis acht Jahre sind nicht drei Jahre. Das Entscheidende aber ist: die Einschränkung "wenn der Iran Nuklearwaffen überhaupt anstrebt" fehlt gänzlich, so daß der erwähnte falsche Eindruck entsteht, ElBaradei sei davon überzeugt, der Iran entwickle Atomwaffen und werde in drei Jahren die Entwicklung abgeschlossen haben. Zudem wird die Information unterdrückt, daß die Zeitschätzung ursprünglich aus Regierungs- und Geheimdienstkreisen der USA stammt.

Selbst wenn sich der 'Kölner Stadt-Anzeiger' darauf zurückziehen würde, ihm sei der Original-Wortlauf nicht bekannt gewesen und der Artikel sei einzig und allein aus den Meldungen der deutschen Nachrichtenagenturen abgeleitet, ist die Überschrift eine Verfälschung. Die Meldungen der Agenturen Reuters und DPA, die der 'Kölner Stadt-Anzeiger' als Quelle angibt, sowie die von AFP enthalten - in der einen oder anderen Form - die einschränkende Annahme:
  • Reuters, 24.5.2007: "Selbst wenn sich die Islamische Republik für die Entwicklung solcher Waffen entscheiden würde, bräuchte sie dafür noch bis Ende dieses oder Mitte des kommenden Jahrzehnts Zeit."
  • DPA, 24.5.2007: "Er [ElBaradei] teile allerdings die Auffassung von Experten, dass Teheran 'frühestens in drei bis acht Jahren' über Atomwaffen verfügen könne, falls es das wirklich wolle."
  • AFP, 24.5.2007: "Es gebe keine Anzeichen dafür, dass Teheran zum jetzigen Zeitpunkt versuche, Atomwaffen herzustellen."
Zudem unterschlägt der 'Kölner Stadt-Anzeiger' in seinem Artikel die folgende Information: "Die USA haben sich offiziell gegen die Haltung von IAEA-Chef Mohamed ElBaradei zum iranischen Atomprogramm beschwert. [...] Der US-Delegationsleiter bei der Internationalen Atomenergiebehörde, Gregory Schulte, habe die Unzufriedenheit der USA bei einem Treffen mit ElBaradei am Mittwoch vorgetragen. Sie entzünde sich an ElBaradeis Vorschlag, Teheran einige Elemente zur Urananreicherung zu erlauben." (AP, 24.5.2007)

Am 24.5.2007 meldet AP: "ElBaradei verwies darauf, dass der Aufstieg Indiens, Pakistans, Israels und Nordkoreas zu Atommächten von Defiziten bei der derzeitigen Atomaufsicht begünstigt worden sei. Einer seiner Vorschläge ziele deshalb auf die Schaffung einer internationalen 'Atombrennstoffbank' ab: Damit würde für jeden Staat mit einem rein zivilen Atomprogramm der Grund entfallen, selbst Uran anzureichern." Und bei AFP ist am gleichen Tag zu lesen: "Der IAEA-Chef appellierte an die großen Atommächte, ihre Atomwaffen-Arsenale zu verkleinern, um eine nukleare Katastrophe zu verhindern. Neun Länder verfügten derzeit über rund 27.000 atomare Sprengköpfe, und fast alle erweiterten und modernisierten ihr Arsenal, kritisierte ElBaradei."

ElBaradei ist also weit davon entfernt, die Propaganda der USA und des 'Kölner Stadt-Anzeiger' zu stützen.


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