Kriegsschauplatz Irak - 'Massaker' von Halabja
Der CIA-Mann und Halabja - Zur angeblichen 'Wahrheit' über den Giftgasangriff auf die Kurden
Artikel von Ulla Jelpke in 'junge Welt' vom 6.2.2003

Der CIA-Veteran und Autor diverser Bücher zum Iran-Irak-Krieg, Stephen C. Pelletiere, hat sich vor wenigen Tagen in der New York Times über seine geheimdienstlichen Erkenntnisse zum Giftgasangriff auf das im irakischen Kurdistan liegende Halabja geäußert (siehe jW vom 10. Februar 2003). Schon in der Überschrift ist von einem »angeblichen Genozid« und der »Wahrheit« eines CIA-Veteranen die Rede. Danach ist Saddam Hussein nicht »die Vergasung seiner eigenen Leute in Halabja als Akt des Völkermords vorzuwerfen, das ist nicht korrekt«, vielmehr hätte »iranisches Giftgas die Kurden getötet«. Pelletiere erklärt: »Die Vergasung von Halabja, und das wissen wir mit Sicherheit, erfolgte während einer Schlacht zwischen Irakern und Iranern«. Der »Irak setzte Chemiewaffen ein, um die Iraner zu töten, die das (irakische) Dorf unweit der Grenze besetzt hatten. Wenn also kurdische Zivilisten getötet wurden, dann hatten sie das Pech, ins Kreuzfeuer geraten zu sein, aber ganz sicher waren sie nicht das Hauptziel der Iraker«.

Tatsächlich ereignete sich am 16. März 1988 ein irakischer Giftgasbombenangriff auf die kurdische Stadt Halabja, die im Grenzgebiet zwischen Iran und Irak liegt. 5000 Kurden kamen dabei ums Leben und mehr als 10000 wurden schwer verletzt. Damals war Saddam Hussein noch der beste Freund des Westens und des Ostens. Die Waffen für diesen Völkermord kamen aus den USA, die Technik und die Rohstoffe für das Giftgas aus der Bundesrepublik. Etwa 70 Prozent der Giftgasproduktionsanlagen im Irak stammten nach Presseberichten aus der Bundesrepublik. Sieben Mitarbeiter deutscher Rüstungsfirmen wie Preussag, W.E.T., Karl Korb, Pilot Plant wurden 1990 vorübergehend festgenommen. Die Lkw, mit denen die Opfer von »Anfal« - dem irakischen Namen für die Vernichtungs- und Vertreibungsaktion gegen die Kurden - abtransportiert wurden, kamen aus der DDR.

Die taz berichtete am 17. Dezember 2002, daß laut dem Dossier, das die irakische Regierung den Vereinten Nationen kurz zuvor vorgelegt hatte, 80 bundesdeutsche Firmen an der Aufrüstung des Irak mit Massenvernichtungswaffen beteiligt waren. Nach jahrelangen Verfahren endeten die Prozesse dazu 1994 bzw. 1996 mit Bewährungsstrafen, Freisprüchen und Verfahrenseinstellungen.

Der Angriff auf Halabja war nur eines von vielen Verbrechen des irakischen Regimes unter Saddam Hussein an der kurdischen Bevölkerung in Südkurdistan (Nord-Irak). Bereits im April 1987, also lange vor Halabja, hatten irakische Streitkräfte gegen kurdische Zivilisten Giftgas eingesetzt. Nach Recherchen von Human Rights Watch (HRW) wurden während der »Anfal«-Operationen, die von Februar bis September 1988 dauerten, in mindestens 40 Orten Chemiewaffen gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt. Nach Schätzungen von HRW wurden während der Operationen 100000 Menschen verschleppt und ermordet. Von kurdischer Seite wird die Zahl 182000 genannt. Laut einer Dokumentation von kurdischen Ärzten aus dem Jahr 2001 wurde in 50 Orten Giftgas eingesetzt.

1988 befanden sich Irak und Iran im Krieg. Die Iraner bedrohten die Ölfelder um Kirkuk, weite Gebiete des nördlichen Irak befanden sich unter Kontrolle der Peshmerga, der kurdischen Verteidigungskräfte. In Halabja gab es tatsächlich eine enge Kooperation zwischen Peshmerga und Iran. »Anfal« ging einher mit einer systematischen Vertreibung und Vernichtung der kurdischen Zivilbevölkerung durch das irakische Regime. Im Verlauf der irakischen Operationen wurden 3000 Ortschaften zerstört, mehr als 500000 Kurden flohen in den Iran oder wurden inhaftiert und deportiert. Die Verantwortung für »Anfal« trugen das »Büro für die Angelegenheiten des Nordirak« und dessen Oberbefehlshaber Ali Hassan al-Majid. In einer Direktive hatte er 1987 angeordnet: »Alle Dörfer, in denen sich Saboteure, Anhänger des Iran, die Verräter des Irak und noch ihresgleichen befinden, werden als sicherheitsgefährdete Dörfer betrachtet… Die menschliche Existenz und der Viehbestand in den oben erwähnten Dörfern werden endgültig vernichtet. Diese Dörfer werden als Todeszone betrachtet, und es darf ganz frei und ohne Rücksicht auf Regelungen geschossen werden«. (Informationsabteilung der PUK, 10. 8. 1987). Nach dem Giftgasangriff auf Halabja berichtete der Spiegel vom 4.April 1988, ein irakischer Regierungssprecher habe erklärt: »Saddam Hussein bestrafe die kurdischen Bewohner, weil sie sich nicht gegen die Eroberung durch iranische Truppen gewehrt, sondern die ›Invasoren auch noch mit Jubel begrüßt‹ hätten«. Joost R. Hiltermann von HRW, der maßgeblich zur Aufdeckung der irakischen Verbrechen beigetragen hat (er hatte die irakischen Dokumente analysiert, die den Peshmerga 1991 in die Hände fielen), erklärte anläßlich einer Konferenz in Berlin am 27./28. März 1998: »Die Grundlage für die Behauptung, auch der Iran hätte C-Waffen eingesetzt, kam von Leuten aus dem War College. Angeblich wußten sie nicht, daß der Irak Zyanid besaß, die amerikanischen Nachrichtendienste gelten ja als sehr gut, aber sie sind nicht sehr gut. Sie wußten nicht, was die Iraker hatten. Aber das ist ja seither nachgewiesen worden, seit UNSCOM im Irak wieder tätig geworden ist«. (UNSCOM - UN Special Commission, auf der Grundlage von UN-Sicherheitsratsresolution 687, der »Waffenstillstandsresolution« vom 3. April 1992 von der UNO eingerichtete Kommission zur Überwachung der Abrüstung der verbotenen irakischen Waffenarsenale. Nach dem Rausschmiß der Inspektoren 1998 wurde die UNSCOM am 17. Dezember 1999 - Resolution 1284 - von der UNMOVIC, UN Monitoring, Verification and Inspection Commission, abgelöst.) Hiltermann erklärte weiter: »Wir haben heute unwiderlegbares Beweismaterial dafür, daß der Chemiewaffenangriff vom Irak, und nur vom Irak, durchgeführt worden ist. Wir wissen das auch durch Zeugnisse der Überlebenden und aus irakischen Unterlagen.«

Bis heute sind die Kriegsverbrechen weder verfolgt worden, noch wurden die Kurden, die bis heute an den Folgen zu leiden haben, entschädigt.

Für die US-Regierung waren die Kurden immer nur eine Figur auf ihrem Schachbrett. Nach Halabja und den »Anfal«-Operationen wurde in Washington geschwiegen. Heute werden die Verbrechen von 1988 benutzt, um die Kriegsverbrechen, die gegen den Irak vorbereitet werden, zu legitimieren. Das ist kein Grund, die verbrecherischen Taten des Regimes von Saddam Hussein zu bagatellisieren. Dem kurdischen Volk muß Gerechtigkeit widerfahren.

Quelle: http://www.jungewelt.de/2003/02-06/006.php


Weiterer Beitrag zum 'Massaker' von Halabja:
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Über Jan Keetmans Angriff - in 'ak' vom 21.2.2003 - auf den Ex-CIA-Mitarbeiter Pelletiere, die 'junge Welt' und die 'Friedensfreunde'

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Statements called evidence
Parts of the show of the Secretary of State Colin L. Powell to the United Nations Security Council, February 5, 2003 (Englisches Original - english original)
"Wir dürfen nicht vor dem zurückschrecken, was vor uns liegt" - vor den Verbrechen, die wir planen
Auszüge aus der Rede von US-Außenminister Colin L. Powell vor dem UN-Sicherheitsrat am 5.2.2003
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